Villa Donnersmarck

Hörbericht: Menschen mit Behinderung im Strafvollzug

Der Hörbericht zur Podiumsdiskussion "Totale Inklusion?" in Kooperation mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung.
10.02.2023

Podcast zur Diskussionsrunde am 6. Februar 2023

Wie ist es um die Situation straffälliger Menschen mit Behinderung bestellt? Sind Sonderwelten wie Gefängnisse auf Barrierefreiheit eingerichtet? Können besondere Bedürfnisse berücksichtigt werden oder bleiben Menschen mit Behinderung wie an vielen anderen Orten auch dort „draußen“? Die Fürst Donnersmarck-Stiftung schaute zusammen mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung am 6.2.2023 bei einer Podiumsdiskussion auf die Herausforderungen eines menschenrechtsbasierten Strafvollzugs. Hören Sie einen Beitrag von Klaus Fechner. (reichweiten.net)

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  • Hörbericht zur Diskussionsrunde zum Thema Menschen mit Behinderung im Strafvollzug.

Transkription zum Mitlesen

Ein Thema, das wenig diskutiert wird, ist die Situation von Menschen mit Behinderung im Gefängnis. Wie gehen Justizvollzugsanstalten mit dieser Personengruppe um? Können die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung dort berücksichtigt werden? Und ist ein menschenrechtsbasierter Strafvollzug auf Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention überhaupt möglich? Mit diesen Fragen beschäftigte sich eine Podiumsdiskussion, die gemeinsam von der Fürst Donnersmarck-Stiftung und der Berliner Landeszentrale für politische Bildung am 6. Februar 2023 veranstaltet wurde.

Keine Datengrundlage

Dr. Lena Kreck, Berliner Senatorin für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung

Dr. Lena Kreck ist Senatorin für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung von Berlin. Sie beschreibt, dass es in der Justizverwaltung keine genauen Zahlen gibt, die Aufschluss geben, wie viele Menschen mit Behinderung sich im Strafvollzug befinden.

Es verhält sich so, dass wir Wissen haben, was den Vollzug angeht. Wir haben Bedarfe, die artikuliert werden, aber wir haben zum Beispiel keine statistische Erfassung. Ich kann jetzt nicht darüber berichten, dass wir im Vollzug in den vergangenen Jahren so viel mobilitätseingeschränkte Personen, gehörlose Personen und so viel chronisch erkrankte Personen hatten. Das wird nicht erfasst. Was wir ganz sicher wissen, ist, dass wir die gesellschaftlichen Ausschlüsse, die Menschen mit Behinderung erleben müssen, dass die sich natürlich bis in den Vollzug weiterziehen. Die Behindertenrechtskonvention ist nicht ausreichend umgesetzt.

Drei behindertengerechte Räume im offenen Vollzug

Marcella Micheli, Leiterin Soziale Arbeit im Offenen Vollzug, Land Berlin

Einen Einblick in den offenen Strafvollzug Berlins gibt Marcella Micheli. Sie ist leitende Sozialarbeiterin im offenen Vollzug des Landes Berlin. Aktuell gibt es 908 Haftplätze im offenen Vollzug, davon sind drei Räume behindertengerecht. Micheli betont, dass es Probleme bei Menschen mit einem erhöhten Pflegebedarf gibt:

… weil wir im offenen Vollzug keine 24 Stunden medizinische Betreuung haben. Wir haben auch keine Ärztin in jeder Teilanstalt, sondern wir haben eine Ärztin, die alle Teilanstalten unter anderem betreut. Also sie macht nicht nur das, sondern hat auch noch andere Aufgaben. So können wir die Behandlungspflege am Vormittag leisten. Aber Menschen, die auf Grundpflege angewiesen sind, am Nachmittag, was vor allem bei unseren älteren Inhaftierten der Fall ist, da ist es so, dass wir Menschen, die für den offenen Vollzug geeignet sind, in den geschlossenen Vollzug in das Justizvollzugskrankenhaus verlegen mussten, weil wir die Pflege nicht leisten können.

Gebäude mit "Hauptmann von Köpenick-Charme"

Dr. Martin Theben, Rechtsanwalt

Den Blick auf andere Institutionen der Justiz weitete Dr. Martin Theben in der Diskussion. Er ist Rechtsanwalt und hat als Mensch im Rollstuhl oft Probleme, zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen, zum Beispiel in ein Gerichtsgebäude:

Da ist es sicherlich so, dass an vielen Gerichten, das sind zum Teil alte Gebäude aus dem 19. Jahrhundert mit Hauptmann von Köpenick-Charme, auch ich immer noch vom Justizwachtmeister durch irgendwelche Seiteneingänge und dreckige Korridore und alten Arrestzellen erst einmal geleitet werden muss, bis ich richtig drin bin, weil man durch den Haupteingang nicht reinkommt. Im Amtsgericht Charlottenburg bin ich besonders ungerne, weil man da mindestens 20 Minuten wartet, bis sich überhaupt jemand von der Justizwachtmeisterei meldet.

Es wurden allerdings bereits Maßnahmen ergriffen, um die Situation von Menschen mit Behinderung im Strafvollzug zu verbessern. Dazu gehören beispielsweise Informationsmaterialien in Leichter Sprache. Aus Sicht von Justizsenatorin Lena Kreck ist es ebenfalls ein wichtiger Ansatz, externe Unterstützung in die Justizvollzugsanstalten zu holen.

Grundsätzlich kann man sagen, dass wir in den letzten Jahren eine Entwicklung genommen haben, die ich total richtig finde, nämlich dass zunehmend Externe von außen in den Vollzug reinkommen und ihre Expertise kundtun. Wohlwissend, dass der Vollzug nicht alles aus sich selbst heraus generieren kann. Zum einen, weil es nicht zu allen Fragen des Lebens Expertise gibt. Zum anderen haben wir ein strukturelles Problem, wenn die Person, die die Schlüssel in der Hand hat, dann die einzige Vertrauensperson sein soll. Wir haben jetzt zum Beispiel ganz neu im Vollzug die Berliner Aids-Hilfe, die dann die HIV-Schnelltests mit den Personen durchführt, die das begehren.

Sozialarbeiterin Marcella Micheli sieht ein weiteres Problem. So wie die Gesellschaft immer älter wird, werden auch die Menschen im Strafvollzug immer älter. Innerhalb von sechs Jahren hat sich die Anzahl der Personen im offenen Vollzug über 55 Jahre mehr als verdoppelt. Für sie ist deswegen eine Zentralisierung der älteren Inhaftierten in einer Justizvollzugsanstalt sinnvoll. So könnten bauliche und organisatorische Maßnahmen gezielt auf deren Bedürfnisse ausgerichtet werden. Dazu gehören zum Beispiel Handläufe an den Wänden und spezielle Betten für ein leichtes Aufstehen und Hinlegen. Außerdem wünscht sie sich:

Ein Farbkonzept, so dass wir Gemeinschaftsräume etwas wohnlicher ausstatten können. Und dass wir unser Personal besser ausbilden können. Das geht von einer C-Trainer-Lizenz, damit man Seniorensport anbieten kann. Bis hin zu dem Wunsch unserer Sozialarbeiterin, die sich damit sehr auseinandersetzt, geschult zu werden in Demenz und Anzeichen von Demenz. Wie erkenne ich eine beginnende Demenz? Kann ich alle Jahre oder alle halbe Jahre eine Art Test durchführen, dass ich wachsam bin, dass man nicht Gefahr läuft etwas zu verschlafen.

Neben den praktischen Ideen und Verbesserungsvorschlägen, die zum Teil bereits umgesetzt werden, fordert Rechtsanwalt Martin Theben den politischen Willen, Inklusion auch wirklich umzusetzen.

Inklusion hört nicht an Gefängnismauern auf. Eine teilhabe- und menschenrechtsbasierte Politik hört nicht auf. Wir erleben es auch im Bildungsbereich, dass Inklusion etwas ist, das noch obendrauf kommt, was ein ohnehin schon angespanntes Schulsystem noch zusätzlich belastet. Ich glaube, da müssen wir alle uns stärker sensibilisieren, das sage ich auch zu mir selbst, um deutlich zu machen, es geht nicht nur darum, Menschen wegzusperren. Da denke ich, der Appell an uns alle auch da eine menschenrechtsbasierte inklusive Politik einzufordern.