Menschen.Rechte: Bildung
Menschen.Rechte: Hörbericht vom 13.3.2019
Seit zehn Jahren ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) geltendes Recht in Deutschland. Die Diskussionsreihe "Menschen.Rechte. Wie die UN-BRK die Gesellschaft verändert", eine Kooperation der Berliner Landeszentrale für politische Bildung und der Fürst Donnersmarck-Stiftung, fragt in diesem besonderen Jahr anhand von fünf Themenschwerpunkten nach positiven Impulsen und dringendem Handlungsbedarf auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft. Von der Auftaktveranstaltung am 13.3.2019 zum Thema Bildung hören Sie einen Beitrag von Klaus Fechner. (reichweiten.net)
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Seit 2009, also seit zehn Jahren, ist die UN-Behindertenrechtskonvention – kurz: UN-BRK – geltendes Recht in Deutschland. Die Fürst Donnersmarck-Stiftung nimmt dieses Jubiläum zum Anlass, um nachzufragen, was sich in dieser Zeit verändert hat und was sich noch verbessern muss. Das geschieht in einer fünfteiligen Veranstaltungsreihe in der Villa Donnersmarck, die in Kooperation mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung durchgeführt wird. Der Titel der Reihe lautet: „Menschen.Rechte. Wie die UN-Behindertenrechtskonvention die Gesellschaft verändert. Zwischenbilanz und Ausblick“. Thomas Gill, der Leiter der Landeszentrale, betont zwei Aspekte dieser Zusammenarbeit. Zum einen:
Unsere Kooperation ist ein schönes Beispiel dafür, dass wenn zwei sich zusammentun mehr herauskommt als die Summe der Einzelteile. Wir haben zwei unterschiedliche Blickwinkel auf die UN-Behindertenrechtskonvention. Die Fürst Donnersmarck-Stiftung ist lange Jahre in der Behindertenhilfe tätig. Die Landeszentrale organsiert Abendveranstaltungen unter anderem zu aktuellen politischen Themen. Das andere ist, dass die UN-Behindertenrechtskonvention eine deutlich weitergehende Bedeutung für die politische Bildung hat.
Der Auftakt der Diskussionsreihe fand am 13. März 2019 statt. Moderiert wurde der Abend von Gerlinde Bendzuck, Vorsitzende der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V. Im Mittelpunkt stand dabei das Thema Bildung.
Viel "altes Denken in alten Strukturen"
Dr. Elisabeth Plate vom Zentrum für Inklusionsforschung an der HU Berlin beschrieb ihre Erfahrungen. Aus ihrer Sicht ist Inklusion ein Prozess, der das System – sowohl die gesamte Gesellschaft als auch das System Hochschule – verändert. Diese Veränderungen würden aber nur sehr langsam voranschreiten:
Was ich insgesamt erlebe, ist ein Festhalten an bestehenden Systemen, zum Beispiel den Sonderschulpädagogiken und den den Regelschulpädagogiken. Das beinhaltet, wie ich immer wieder erschreckend feststellen muss, auch das Fortbestehen eines Behinderungsverständnisses, das nicht wie in der UN-BRK beschrieben, Behinderung als ein sozial gemachtes Phänomen beschreibt, das durch Barrieren in der Umwelt entsteht, sondern immer noch als ein Defizit in der Person angesehen wird.
Das sei altes Denken in alten Strukturen. Um dies zu ändern, fordert sie eine Neuorientierung der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern.
Daher ist für mich ein Aspekt ganz wichtig. Und zwar vertrete ich die These, dass eine inklusionsorientierte Lehrer*innen-Bildung selber inklusiv sein muss. Unter einer inklusiven Lehrer*innen-Bildung verstehe ich, dass Inklusion nicht nur ein curricularer Inhalt sein muss, den man in ein oder zwei Lehrveranstaltungen packt, sondern dass die Kulturen, Strukturen und Praktiken selber inklusiv gestaltet sein müssen. Das heißt, die Partizipation aller Personen auch der Studierenden und Dozenten unterstützt.
Dazu müssten sich die Lehrenden als immer neu Lernende verstehen. Nur so könne die Partizipation aller Beteiligten gewährleistet werden.
Probleme Studierender mit Behinderung
Laure Crouzet ist Sozialreferentin beim Asta der FU Berlin, beim Allgemeinen Studentenausschuss. Aus ihrer Beratungstätigkeit kennt sie viele Probleme, die Studierende mit Behinderung an der Universität haben. Dazu gehört zum Beispiel:
Dass die Universität wenig konkrete Informationen zum Thema zur Verfügung stellt. Auch eine Barrierefreiheit der Gebäude gibt es nicht. Es gibt natürlich Piktogramme. Aber das ist eine mangelnde Information, weil es nicht das gesamte Gebäude betrifft. Es gibt auch ein mangelhaftes Bildungsbewusstsein darüber, was ist eine Behinderung. Oft werden unsichtbare Behinderungen nicht verstanden. Menschen mit psychiatrischer Diagnose werden stark diskriminiert und bekommen ihren Nachteilausgleich nicht, also ihre angepassten Studien- und Prüfungsbedingungen.
Für sie gibt es Inklusion an der FU nur in wenigen Bereichen. Daher setzt sie sich gemeinsam mit Studentenvertretungen anderer Universitäten für eine Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes ein. Sie möchte, dass dort der Begriff Integration durch Inklusion ersetzt wird. Außerdem fordert sie bei einer Neufassung des Gesetzes:
Dass die Universität verpflichtet ist, ein qualitativ gleichwertiges Studium für Studierende mit besonderen gesundheitlichen Bedürfnissen anzubieten wie für andere Studierende. Im Moment ist es so: Wir integrieren dich. Das bedeutet, du wirst nicht sanktioniert, wenn du öfters krank bist. Aber eigentlich ist man benachteiligt, weil man nicht die gleichen Inhalte in sein Studium bekommt.
Mit entsprechenden Paragraphen im Gesetz wäre ein Rahmen für mehr Inklusion geschaffen.
Über 200 inklusive Volkshochschulkurse
Amund Schmidt vertrat das Aktionsbündnis Erwachsenenbildung Inklusiv, ERW-IN. Ziel des Bündnisses ist die nachhaltige Entwicklung der Erwachsenenbildung für Menschen mit Lernschwierigkeiten und geistiger Behinderung. Dazu werden in Berlin über 200 inklusive Kurse an Volkshochschulen angeboten. Aus seiner Sicht sind für eine erfolgreiche Inklusion immer zwei Dinge notwendig:
Dass es eine Offenheit gibt, die Strukturen zu verändern. Ich bin schon sehr zufrieden, wenn in den Volkshochschulen in den Stellenbeschreibungen das Wort Inklusion vorkommt. Dass das in der Struktur verankert ist. Dass es ausdrücklich genannt wird und nicht nur im Leitbild steht und nicht in der Praxis vorkommt. Aber es nützt nichts, wenn Strukturen verändert oder umgebaut werden und Hierarchien sich verändern. Es muss dazu mindestens immer einen geben, der eine entsprechende Haltung und eine entsprechende Werte und Kultur mit einbringt. Nur dann funktioniert es.
Bei den Podiumsteilnehmern herrschte Einigkeit, dass ein massiver systemischer Wechsel in den vorgestellten Bereichen – an den Hochschulen und in der Erwachsenenbildung – notwendig sei, um Inklusion zu fördern. Dazu müssten Strukturen und Denkweisen verändert werden. Oder wie Elisabeth Plate zusammenfasst:
Inklusion entsteht durch Inklusion.
Der zweite Abend der Veranstaltungsreihe findet am 10. April 2019 in der Villa Donnersmarck statt. Dann dreht es sich um den Aspekt „politische Teilhabe“, der im Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention verankert ist.