Villa Donnersmarck

Hörbericht: Wie divers ist das Abgeordnetenhaus?

Wieviel Vielfalt findet sich im Berliner Landesparlament? Unser Hörbericht zur Online-Diskussion vom 16. Februar 2022 mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung.
02.03.2022

Podcast der Online-Diskussion am 16. Februar 2022

Wieviel Vielfalt findet sich im Berliner Landesparlament? Bildet sich im Abgeordnetenhaus die zunehmende Sichtbarkeit der diversen Gesellschaft ab? Oder sind wie Menschen mit Behinderung, mit Migrationshintergrund oder Gruppen anderer benachteiligter sozialer Schichten unterrepräsentiert? Zusammen mit der Landeszentrale für politische Bildung das Berliner Parlament ging die Fürst Donnersmarck-Stiftung diesen Fragen am 16. Februar 2022 in einer Online-Diskussion nach. Hören Sie einen Beitrag von Klaus Fechner. (reichweiten.net).

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In einer Demokratie gibt es gewählte Parlamente, die das Volk repräsentieren. Doch bilden diese Parlamente einen Querschnitt der Bevölkerung ab? Oder kommen dort Gruppen wie Menschen mit Behinderung oder aus benachteiligten sozialen Schichten zu wenig vor? Und wie kann Diversität in politischen Vertretungen gesteigert werden?

Diesen Fragen ging die Fürst Donnersmarck-Stiftung in Kooperation mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung am 16. Februar 2022 in einer Online-Diskussion am Beispiel des Berliner Parlaments nach. Der Titel der Veranstaltung lautete „Wie divers ist das Abgeordnetenhaus?“

Eine Antwort kam von Bahra Haghanipour, sie ist Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses in Berlin. Das im September 2021 neu gewählte Parlament ist ihrer Meinung nach diverser als zuvor. Es enthält mehr Menschen mit Migrationsgeschichte und ist mit durchschnittlich 45 Jahren deutlich jünger. Allerdings gilt das nicht für alle Bereiche: Nur 35 % der Abgeordneten sind Frauen. Und die Mehrheit der Abgeordneten hat einen akademischen Hintergrund, nur wenige haben Handwerksberufe gelernt. Für Bahra Haghanipour liegt die mangelnde Diversität zum großen Teil an den Strukturen in den Parteien:

"Wen lassen die Parteien da rein?"

Bahar Haghanipour Bei einem Zoom Meting.

Bahra Haghanipour, Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses in Berlin

Es ist ja immer die Frage, wen lassen die Parteien da rein und haben sie zum Beispiel Regeln, die sie sich selbst auferlegt haben, um mehr Diversität abzubilden. Von den jüngsten Abgeordneten im Abgeordnetenhaus sind zwei aus der Fraktion Bündnis90/Die Grünen und eine Person ist aus der Fraktion Die Linke. Das zeigt, für diese Parteien sind die Jugendorganisationen, aus denen sie kommen, sehr wichtig. So wichtig, dass sie denen die Möglichkeit geben, ein Mandat zu bekommen.

Wer sich politisch engagieren will, muss viele Zugangsbarrieren überwinden, so Haghanipour.

Dr. Pola Lehmann vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung weist darauf hin, dass es ein Problem gibt, wenn bestimmte Gruppen über einen langen Zeitraum bei politischen Entscheidungen nicht vertreten sind:

Demokratie braucht auch immer Wechsel

Ein Foto von Frau Dokter Pola Lehmann in einem Zoom Meeting.

Dr. Pola Lehmann

Das ist ja auch Teil des Systems, dass es am Ende eine Mehrheitsentscheidung gibt und vielleicht auch einen Kompromiss gibt zwischen unterschiedlichen Präferenzen. Wir bekommen aber ein Problem, wenn sich diese Nicht-Repräsentationen über lange Zeit konstant halten. Wir brauchen in der Demokratie auch immer den Wechsel, dass sich bestimmte Präferenzen mal durchsetzen und mal andere, damit über lange Sicht alle das Gefühl haben, inkludiert zu sein.

Es gibt verschiedene Ansätze, mehr Diversität in politische Entscheidungen einzubringen. Dazu gehört seit 2020 das Berliner Behinderten-Parlament. Es macht sich für die Belange von Menschen mit Behinderung stark und erarbeitet konkrete Forderungen an die Politik. Christian Specht ist einer der Initiatoren:

Der Wunsch nach engerer Zusammenarbeit

Ein Foto von Christian Specht  in einem Zoom Meeting.

Christian Specht

Ich wünsche mir, enger zusammen zu arbeiten mit dem Parlamentspräsidenten im Abgeordnetenhaus. Und mit ihm Kontakt aufzunehmen. Oder auch mit der neuen Bürgermeisterin Frau Giffey enger zusammen zu arbeiten. Was kann man gemeinsam hinbekommen? Das wäre schon mal gut. Auch wenn man mit drei oder vier Leuten ins Abgeordnetenhaus rein könnte und dort endlich unsere Arbeit machen könnte.

Die Corona-Pandemie hat bisher einen gemeinsamen Parlamentstag im Abgeordnetenhaus verhindert.

Eine weitere Möglichkeit, im Abgeordnetenhaus bisher nur gering vertretende Bevölkerungsgruppen in politische Entscheidungen einzubinden, ist die Aufstellung von Bürgerinnenräte. Darauf weist Bahra Haghanipour hin:

Daneben gibt es die Bürgerinnenräte. Da hat die Regierung auf berliner Ebene sich vorgenommen, dazu einzuladen. Also per Zufallsauswahl eine repräsentative Gruppe aus der Bevölkerung zu finden, die zu einem Thema debattiert und auch Lösungsvorschläge erarbeitet, wie man Politik machen kann und wie man Themen bearbeiten kann.

Zu unterschiedlichen Themen wie Klima oder Verkehrspolitik treffen sich die Bürgerinnenräte und bringen ihre Erfahrungen und Meinungen ein. Der Vorteil: Alle gesellschaftlichen Gruppen sind dort vertreten.

Für Bahar Şanlı vom Nachbarschaftshaus Urbanstraße ist das eine gute Idee, die aber nicht weit genug geht. Şanlı setzt sich zum Beispiel für das Bündnis „Wahlrecht für alle“ ein, das die Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts auf Kommunal- und Landesebene für alle Menschen mit dauerhaftem Wohnsitz in Berlin fordert. Für sie bedarf es grundlegender Veränderungen, um mehr Diversität zu erreichen:

"Die Gesellschaft muss sich verändern"

Ein Foto von Bahar Sanli in einem Zoom Meeting am erzählen.

Bahar Şanlı

Die Gesellschaft muss sich verändern. Solange es in der Gesellschaft eine Norm-Definition gibt, zum Beispiel der weiße, alte Mann mit Bildungsbiografie, der über Macht, über Entscheidungsmacht verfügt, kristallisiert sich eine Norm, die wiederum bestimmt, was die Norm in dieser Gesellschaft ist. Und alle anderen marginalisierten Gruppen kämpfen darum, in dieser Norm mitreden zu können und reißen an dieser Norm.

Denn es geht aus ihrer Sicht nicht um Beratung, sondern um politische Entscheidungen und Macht:

Es geht darum, in der Gesellschaft mitentscheiden zu können und nicht nach der Erlaubnis zu fragen. Und dass die Menschen nicht permanent kämpfen müssen um Sichtbarkeit, Repräsentanz und Teilhabe. Es muss schon um Mitentscheidung gehen. Und wer mitentscheidet, darf nicht durch dominante Gruppen definiert werden, sondern muss gleichberechtigt in der Gesellschaft ausgehandelt werden.

Diversität sei eine Haltung, so Şanlı. Deshalb fordert sie eine veränderte Gesellschaft mit einem inklusiven Bildungssystem als Grundlage, damit Diversität zum Normalfall wird. Für alle Teilnehmer der Online-Diskussion ist mehr Diversität eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Eine Aufgabe, deren Bewältigung sicherlich noch einige Jahre andauern wird.