Hörbericht: Wie müssen wir morgen mobil sein
Hörbericht zur Diskussionsrunde am 11.10.2023
Angesichts des Klimawandel geht eine lebenswerte Zukunft nur mit einer Mobilitätswende. Aber wie sind Menschen mit Behinderung als Teil der Stadtgesellschaft bei der Entwicklung alternativer Verkehrsideen eingebunden? Wie werden ihre Bedürfnisse mitgedacht? Das diskutierten Expertinnen und Experten am 11.10.2023 in der Villa Donnersmarck. Hören Sie einen Beitrag von Klaus Fechner.
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Der Klimawandel macht eine Mobilitätswende notwendig. Dabei werden Ideen wie verkehrsberuhigte Quartiere, ein besserer öffentlicher Nahverkehr, mehr Radwege und autofreie Innenstädte diskutiert. Doch wie werden die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung bei diesen Maßnahmen mitgedacht? Sind sie bei der Erstellung zukunftsfähiger Konzepte eingebunden? Mit diesen und weiteren Fragen zum Thema Mobilität beschäftige sich eine Diskussionsrunde der Fürst Donnersmarck-Stiftung am 11. Oktober 2023 mit dem Titel „Wie müssen wir morgen mobil sein?“. In der Villa Donnersmarck in Berlin-Zehlendorf trafen sich Vertreter aus Politik, von Verkehrsunternehmen, aus der Forschung und der Zivilgesellschaft.
Für den öffentlichen Personenverkehr ist in Berlin die BVG zuständig, die vom Land Berlin betrieben wird. Das Unternehmen versucht mit verschiedenen Maßnahmen die Themen Mobilität und Inklusion zu verbinden. Zum Beispiel geht die BVG auch in inklusive Kitas und Schulen und führt Projekte zur Verkehrserziehung durch. Außerdem organisiert sie individuelle Mobilitätstrainings für Menschen mit Behinderung, um eine sichere Fortbewegung in Fahrzeugen und auf Bahnhöfen zu erlernen.
Dr. Hanna Matthies ist bei der BVG als Beauftragte für mobilitätseingeschränkte Personen und für Senioren tätig. Für sie ist außerdem wichtig,
... dass wir versuchen, möglichst gute Planungsmöglichkeiten zu geben. Das ist nicht mein Ideal, weil ich finde, man darf Menschen, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind, nicht zumuten, besser zu planen als alle anderen. De facto ist das aber so. Wir bieten ihnen die Daten, um das zu können. So werden Aufzugstörungen mittlerweile automatisiert online angezeigt. Ich kann mir auch, wenn ich nicht online unterwegs bin, das per Telefon abrufen. Auch diese Möglichkeit gibt es. So kann ich eine gute Planung machen und nicht erst vor dem kaputten Aufzug stehen und dann merken, dass ich nicht weiterkomme, sondern den Bereich umfahren.
Zu den Maßnahmen der BVG, die Mobilität plus Inklusion als Ziel haben, gehört auch der Abruf-Service MUVA. Er besteht aus zwei Teilen. Zum einen aus der Dienstleistung Flexible Fahrt, die im Ostteil der Stadt angeboten wird und unterversorgte Gebiete besser an das öffentliche Netz anbindet. Dabei können Kleinbusse für Zubringerfahrten zur S- oder U-Bahn abgerufen werden, die bewusst barrierefrei gestaltet sind.
Zum anderen gibt es das Pilotprojekt Aufzugersatz. Unter bestimmten Voraussetzungen übernimmt die BVG den Transport von Menschen mit Behinderung mit Kleinbussen bis ans Ziel, wie der stellvertretende Projektleiter Lennart Hegemann beschreibt.
Das ist ein Service, der Lücken und Barrieren im ÖPNV-Netz schließt, das heißt, wenn ein Aufzug defekt ist oder auf Grund einer Wartung nicht zur Verfügung steht oder wenn ein Bahnhof nicht barrierefrei ist und über keinen Aufzug verfügt, dann kann dieser Service in Anspruch genommen werden. Wir haben die Fahrzeuge nach unserer Ansicht bestmöglich verteilt. Wir lernen ständig dazu. Die Fahrzeuge müssen auch immer wieder neu verteilt werden, je nachdem wo gerade Aufzugstörungen auftreten. Da müssen wir natürlich in diesem Moment sehr präsent sein.
Im besten Fall betrüge die Wartezeit für den MUVA Aufzugersatz zwischen 5 und 15 Minuten, so Hegemann. Wird die Pilotphase an ausgewählten U-Bahnstrecken ein Erfolg, soll der Service in den Regelbetrieb übergehen.
Gerlinde Bendzuck von der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin macht sich dafür stark, dass bei allen Entscheidungen, die das Thema Mobilität betreffen, mehr an Menschen mit Behinderung gedacht wird, insbesondere an solche mit kognitiven Einschränkungen oder mit Sehbehinderung. Gute Möglichkeiten für eine bessere Mobilität bietet moderne Technik:
Was kann beispielsweise ein öffentlicher Nahverkehr tun, um sehbehinderte Menschen jenseits von entsprechenden Straßenbahnhaltestellen noch besser zu inkludieren? Da hat Technik zum Beispiel mit mobilen Leitsystemen viel zu bieten. Oder auch für Menschen, die Orientierungsschwierigkeiten haben. Dass man da zukünftig personalisierte Leitsysteme haben kann, die dann auch auf Unvorhergesehenen besser reagieren und ganz viel von dieser Unsicherheit rausnehmen. Damit man sich tatsächlich traut den ÖPNV zu nutzen, auch wenn mal ein Aufzug ausfällt oder eine Barriere vorhanden ist.
Die Mobilitätswende ist ein komplexes Thema und bietet keine einfachen Lösungen, meint Zukunftsforscher Julian Horn. Viele Menschen müssten zur Bewältigung der Klimakrise ihre Gewohnheiten ändern, z. B. öfter das Auto stehen lassen. Bei den Maßnahmen muss der richtige Mix gefunden werden, damit einzelne Gruppen aus der Gesellschaft nicht zu sehr belastet werden. Für den Wissenschaftler steht fest, dass eine angemessene Beteiligung der Menschen wichtig ist, damit die Maßnahmen der Mobilitätswende zum Erfolg werden.
Man sollte optimalerweise in guten Beteiligungsprozessen die Leute von Anfang an mitnehmen, sie rechtzeitig informieren und darüber sprechen, wie man sowas ausgestalten kann. Aber das ist in Berlin leider nicht die Realität. Das muss man auch sagen, dass wir in vielen Fällen gesehen haben, dass sich Menschen nicht abgeholt gefühlt haben und nicht das Gefühl hatten, zu Wort zu kommen. Das ist auch, was ich aus einem Interview mitgenommen habe, bei dem ich mit Menschen mit Behinderung unterwegs war und sie auf ihren alltäglichen Strecken begleitet habe. Dort kam oft, dass sie das Gefühl hatten, dass sie der Politik „scheißegal“ sind. Dass auch bestimmte Beteiligungs- und Einladungsformulare nicht in leichter Sprache verfasst sind oder nicht in einem Audioformat hörbar sind. Was dazu führt, dass Menschen mit Behinderung gar keinen Zugang haben.
Einen anderen Weg mit mehr Bürgerbeteiligung geht der Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Dort gibt es einen Mobilitätsrat, der sich um Probleme kümmert, die mit der Mobilität der Bürger zu tun haben. Der Bezirksstadtrat für Umwelt- und Naturschutz, Straßen und Grünflächen, Urban Aykal, beschreibt die Arbeitsweise im Mobilitätsrat.
Da sitzen die Aktiven zusammen. Teilweise aus der Zivilgesellschaft, die sich mit Mobilität befassen. Und auch die Bezirksfraktionen sind vertreten, aus dem Senat und von der BVG sind Kollegen und Kolleginnen vertreten. Also, da kommen Experten zusammen, auch sachkundige Bürger, die im Bereich Mobilität beruflich tätig sind oder waren. Da setzen wir uns mit bestimmten Themen auseinander. Das ist nicht nur Radverkehr. Zum Beispiel haben wir uns gestern über die Neugestaltung des Hermann-Ehlers-Platzes ausgetauscht, haben in diesem Prozess aber auch Runden mit Menschen mit Behinderung vor Ort durchgeführt, um deren Perspektiven mitzunehmen. Hier im Bezirk geht es nicht darum, dass wir die großen Themen auf die Agenda setzen. Das geht nur auf Landes- oder Bundesebene. Hier geht es darum, wie können wir die kleinen Themen zeitnah umsetzen.
Für Bezirksstadtrat Urban Aykal ist darüber hinaus aber auch die Zusammenarbeit mit dem Berliner Senat wichtig, der in vielen Fällen eine andere Perspektive auf Fragen des Verkehrs und der Mobilität hat.
Das Ziel der Mobilität der Zukunft muss sein, dass jeder Mensch selbstbestimmt, spontan und ohne fremde Hilfe von A nach B kommen kann. Und wenn Hilfe nötig wird, sollte sie umgehend da sein. Da waren sich alle Teilnehmer der Diskussionsrunde einig. Einigkeit herrschte aber auch darin, dass der Weg zu diesem Ziel noch weit ist.