Villa Donnersmarck

Hörbericht: Gewalt und Soziale Arbeit

Der Hörbericht zur Podiumsdiskussion "Gewalt und Soziale Arbeit", die am 22. März 2023 in der Villa Donnersmarck stattfand.
30.03.2023
Foto: Publikum und Podium bei der Diskussion Gewalt und Soziale Arbeit in der Villa Donnersmarck

Podcast zur Diskussionsrunde am 22. März 2023

Gewalt in der Sozialen Arbeit kann alle treffen und von allen ausgeübt werden. Woran liegt das und wie hängt das mit dem Feld der Behindertenhilfe zusammen? Welche Konzepte können Gewalt verhindern und wie müssen sie entstehen? Bei einer Podiumsdiskussion am 23. März 2023 in der Villa Donnersmarck begaben sich Podium und Publikum auf die Suche nach Antworten. Hören Sie einen Beitrag von Klaus Fechner. (reichweiten.net)

Hörbericht herunterladen

Transkription zum Mitlesen

In der Sozialen Arbeit kommt es wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen zu Gewalt und Grenzüberschreitungen. Sie kann von Mitarbeitenden, von Externen, aber auch von den Klientinnen und Klienten selbst ausgehen. Gerade in der Behindertenhilfe wuchs in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit für diese Formen der Gewalt.  In einer Podiumsdiskussion beschäftigte sich die Fürst-Donnersmarck-Stiftung am 22. März 2023 mit diesem Thema. Dabei wurde gefragt, was genau Gewalt ausmacht, ob es strukturelle Besonderheiten im Bereich der Behindertenhilfe gibt und welche Vorkehrungen Einrichtungen dagegen treffen.

Unterschiedliches Problembewusstsein

Foto: Prof.Dr. Anke Dreier-Honing bei der Podiusmdiskussion, sitzend in einem Sessel

Prof. Dr. Anke Dreier-Horning lehrt Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Berlin. Bei der Frage, warum dieses Thema gerade in der aktuellen Situation eine besondere Aufmerksamkeit erhält, merkte sie an, dass die heutige Bewertung von Gewalt eine andere ist als noch vor 50 Jahren. Heute gehen alle Beteiligten viel sensibler damit um. Im historischen Rückblick gibt es zudem Unterschiede wie in der alten Bundesrepublik und in der ehemaligen DDR mit dem Thema Gewalt umgegangen wurde.Prof. Dr. Anke Dreier-Horning lehrt Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Berlin. Bei der Frage, warum dieses Thema gerade in der aktuellen Situation eine besondere Aufmerksamkeit erhält, merkte sie an, dass die heutige Bewertung von Gewalt eine andere ist als noch vor 50 Jahren. Heute gehen alle Beteiligten viel sensibler damit um. Im historischen Rückblick gibt es zudem Unterschiede wie in der alten Bundesrepublik und in der ehemaligen DDR mit dem Thema Gewalt umgegangen wurde.

Durch die Veränderungen der 68er-Bewegung hat sich in der BRD sehr viel getan. Für alle möglichen Gruppen innerhalb der Gesellschaft, für Jugendliche, für Menschen mit Behinderung, für Frauen, für alle möglichen Gruppen hat es eine große soziale Bewegung gegeben. Diese soziale Bewegung blieb in der DDR aus. Das hat ganz unterschiedliche Gründe. Der erste liegt auf der Hand, wir hatten es mit einer Diktatur zu tun. Da konnte es nicht viel Empowerment geben. Schon alleine sich zusammen zu tun im zivilgesellschaftlichen Bereich und für seine eigenen Belange einzutreten war ja nicht möglich. Deshalb war dieses Problembewusstsein in Ostdeutschland lange Zeit nicht da.

Haltung als Selbstverpflichtung

Mirijam Mirwald bei der Podiumsdiskussion, sitzend in einem Sessel

Aktuell wird das Thema Gewalt und Soziale Arbeit sowohl in der Forschung als auch in der Ausbildung immer wichtiger. Auch der Gesetzgeber hat das Problem erkannt und im Paragraphen 37a des Teilhabestärkungsgesetzes festgeschrieben, dass die Leistungserbringer der Behindertenhilfe Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt treffen müssen, besonders in ihren Einrichtungen. Dazu gehört ein Gewaltschutzkonzept.

Mirjam Mirwald ist bei der Fürst Donnersmarck-Stiftung Referentin für Bildung und Fortbildung und hat ein Konzept mit Maßnahmen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt in den Einrichtungen der Stiftung erarbeitet. Neben Aufklärung, was sexualisierte Gewalt eigentlich ist, geht es in dem Konzept um Prävention und Reaktion. Sie beschreibt, was ihr dabei wichtig ist.

Haltung, Wertschätzung, Respekt – das ist ganz wichtig, aber auch eine Selbstverpflichtung oder ein Verhaltenskodex: Wie wollen wir miteinander umgehen. Ich glaube, der Präventionsteil ist ganz wichtig, aber auch was passiert, was muss ich machen, wenn Gewalt stattfand. Da ist es wichtig, dass man Handlungsabläufe hat, wenn etwas passiert, an wen muss ich mich wenden, wen muss ich mit einbeziehen. Sodass ich in jedem Fall weiß, ich mache das, beziehe die Leitung ein oder wende mich an eine externe Beratungsstelle oder was auch immer.

Regeln und echte Beteiligung

Petra Stephan bei der Podiumsdiskussion, sitzend im E-Rollstuhl

Worauf es bei der Erstellung von Gewaltschutzkonzepten ankommt, dazu hat Petra Stephan ganz konkrete Vorstellungen und Empfehlungen. Sie ist Diplompsychologin und Mitbegründerin des BZSL e.V., des Berliner Zentrums für Selbstbestimmtes Leben.

Ich würde anfangen, mir gemeinsam mit dem Klientel, das in meiner Einrichtung ist, und den Mitarbeitenden ein Leitbild zu erarbeiten, und zwar gemeinsam, nicht getrennt. Man kann mal getrennte Arbeitsgruppen machen, das ist ok, aber das muss immer wieder zusammengeführt werden. Es beginnt glaub ich mit der Frage, was verstehen die Einzelnen darunter, was verstehen sie unter Gewalt. Der Betroffene, der behinderte Mensch, der dort lebt in der Einrichtung, hat ja eine andere Perspektive als der, der von draußen an ihm arbeitet. Und natürlich geht auch von den Menschen mit Behinderung mal Gewalttätiges aus. Sprachlich oder auch physisch. Ich kann ja jemandem, wenn ich will, auch in die Beine fahren.

Wenn man sich mit dem Thema Gewalt in der Sozialen Arbeit beschäftigt, muss man jedoch auch die generellen systemischen Besonderheiten beachten, wie Anke Dreier-Horning beschreibt:

Gewalt hat ja ganz viele Dimensionen. Wir sprechen über sexualisierte Gewalt, über körperliche Gewalt, seelische Gewalt aber auch über strukturelle Gewalt. Und strukturelle Gewalt ist natürlich bei uns innerhalb der Sozialen Arbeit ein großes Thema. Fast immer habe ich es hier mit einem asymmetrischen Verhältnis zu tun. Das bedeutet immer, jemand hat Macht und der andere weniger Macht. Das ist ein Raum für Gewalt. Insbesondere, wenn die Menschen, mit denen ich zu tun habe, sich nicht wehren können oder nicht artikulieren können und sagen können, das möchte ich nicht. Dann muss ich auf ganz viel Körpersprache achten und das ernst nehmen.

Um die Belange der Bewohner und Bewohnerinnen von Einrichtungen ernst zu nehmen, setzt Petra Stephan daher auf ein geregeltes Beschwerdemanagement für die Klienten und eine offene Gesprächs- und Fehlerkultur für die Mitarbeitenden. Sie betont die Notwendigkeit,

... dass die Klienten die Möglichkeit haben, sich unabhängig beraten zu lassen im Peer-Counseling. Ich halte es für wichtig, dass eine Einrichtung ein Beschwerdemanagement und ein Fehlermanagement hat. Und dass beide Seiten so weit wie möglich zusammenarbeiten, um das Konzept zu erstellen. Das wird nicht in jedem Fall gehen. Aber vielleicht geht es mit den zu Betreuenden, vielleicht geht es mit den Menschen, die diejenigen betreuen. Dass sie sie sehr genau kennen und sensibel wahrnehmen, personenzentriert wahrnehmen, was ist für denjenigen richtig und wichtig.

Neben regelmäßigen Bewohner:innenversammlungen, die empfehlenswert und noch nicht selbstverständlich sind, ist Personenzentrierung - wie im Bundesteilhabegesetz zentral vorgesehen – für Mirjam Mirwald das vielleicht wirksamste Hilfsmittel für eine praxistaugliche Gewaltprävention.

Personenzentrierung ist eigentlich der beste Gewaltschutz, weil die Haltung der Mitarbeitenden sehr wichtig ist. Dass die Menschen selbstbestimmt leben können und sich als selbstwirksam erleben. Schutzkonzepte, Beschwerdemanagement und Schulungen sind wichtig, aber Gewaltschutz ist besser umsetzbar, wenn Personenzentrierung wirklich gelebt wird.

Entscheidend ist ihrer Meinung nach auch die Haltung der Leitungen von Einrichtungen. Wenn sie achtsam mit dem Thema Gewalt umgehen, dann achten auch die Mitarbeitenden darauf.

Prof. Dr. Anke Dreier-Horning setzt für dieses Bewusstsein auf die neue Generation ihrer Absolventen und Absolventinnen. So sehr sie von deren Fachlichkeit überzeugt ist, so alarmierend seien allerdings die Rahmenbedingungen für Soziale Arbeit:

Grundsätzlich bin ich von den jungen Leuten, die uns an der Hochschule verlassen, total überzeugt. Das ist eine vollkommen andere, vollkommen neue Generation. Solche Leute werden es als eine Selbstverständlichkeit ansehen Menschen mit Behinderung zu fragen „Was möchtest du? Wie kann ich dir dabei helfen? Welche Bedürfnisse hast du?“ Aber letztendlich kann es uns passieren, dass diese Leute schnell wieder aus dem sozialen Bereich herausgehen, weil die Personaldecke nicht stimmt. Wenn wir es nicht schaffen, den Personalmangel hinzubekommen, dann verlieren wir wirklich, wirklich gute Kräfte, und dann können wir Schutzkonzepte haben, wie wir wollen. Aber wenn vor Ort nicht die Ressourcen da sind, um die umzusetzen, dann bringt uns das alles nichts.

Gewalt und Soziale Arbeit bleibt somit ein wichtiges Thema, mit dem man sich auch in Zukunft intensiv beschäftigen muss.