Mut für einen
Mut für einen neuen Anfang - das wertvollste Geschenk
Brief eines Flutopfers aus Dresden
Das vorzeitige Weihnachtsgeschenk
Morgen ist der erste Adventsonntag. Wie in jedem Jahr will ich die Wohnung
weihnachtlich schmücken. Mit Räuchermännchen, Bergmann, Lichterengel, einem
großen Adventskranz mit roten, dicken Kerzen und goldenen Schleifen.
Aber in diesem Jahr 2002 ist alles ganz anders. Das stinkende braune
Hochwasser der Elbe hat meine Wohnung und damit alles, was ich besaß vernichtet.
Das war im Hochsommer des Jahres 2002 und Weihnachten noch weit weg. Wer denkt
im Chaos an Lichterengel und Räuchermännchen? Der Herbst begann, das Leben ging
weiter, Mut erwachte und neue Lebenskraft.
Im Radio hörte ich die ersten Weihnachtslieder und holte meine beiden durch
Zufall aus dem Schlamm geborgenen Weihnachtsfiguren, einen Räuchermann aus dem
Erzgebirge und eine Räucher-Oma aus Seiffen. Sie liebe ich besonders, weil sie
in beiden Händen ein Tablett mit dampfenden Klößen und auf der Nase eine runde
Brille trägt, durch die sie genauso wenig sieht wie ich durch meine. Wohin soll
ich die beiden stellen? Ich habe noch immer keine eigene Wohnung, die wird erst
im nächsten Jahr fertig sein.
Als ich noch überlegte, klingelte es. Der Postbote gab mir einen dicken
Brief. Ich stellte Räuchermann- und Oma auf den Tisch und öffnete ihn. Das
Blindenlesegerät las mit monotoner Stimme: "Sie sind zu einem Erholungsurlaub in
der Zeit vom 04.12.02 - 08.12.02 in das Haus Rheinsberg - Hotel am See
eingeladen. Behindertengerechte Zimmer, Vollverpflegung, Fitnessraum erwarten
Sie. Alles kostenlos, Frau Weimann". Ich hätte mich setzen müssen, hätte ich
nicht schon gesessen! Das Gerät las weiter vor: "Das Kuratorium der Fürst
Donnersmarck - Stiftung hat diesen Aufenthalt für behinderte Flutopfer aus
Sachsen gespendet."
So war das!
Vom Fürsten Donnersmarck wusste ich nur, dass es ihn einmal gegeben hatte und eine Stiftung mit seinem Namen im Jahr 1916 gegründet wurde. Mit Fürsten und sonstigen Adligen hatte ich nie viel im Sinn.
Aber jetzt?
Ich ließ meine Räuchermännchen stehen und überlegte! Ich war ausgewählt unter
vielen behinderten Flutopfern. Das ist ein Geschenk! "Ein vorzeitiges
Weihnachtsgeschenk", glaubte ich Räuchermann und Räucher-Oma flüstern zu hören.
"Du kannst dich freuen." Ja, schon. Wer würde mich begleiten in das schöne Haus
am See? Es war erst vor einem Jahr als modernes Hotel für behinderte Menschen
erbaut worden. Schön musste es sein, für einige Zeit alle Probleme und Sorgen zu
vergessen.
"Ein Geschenk darf man doch nicht ablehnen", flüsterten die Räucherfiguren.
Leise stieg Freude in mir auf. Schön musste es sein, einmal wieder in einem
gepflegten Hotel als Gast verwöhnt zu werden. So wie früher, als ich noch sehen
und laufen konnte und mein Mann bei mir war. Nun zögerte ich nicht länger,
stellte die Räucherfiguren auf eine Kiste, packte die Reisetasche und bat eine
Freundin, mich zu begleiten.
Gut war es, im Haus am See andere Menschen zu treffen, die alle ein schweres
Schicksal hatten und durch das Jahrhunderthochwasser betroffen waren. Ich bin
keinem begegnet, der nicht den Mut für einen neuen Anfang gehabt hätte. Das war
das Wertvollste, was ich aus meinem Geschenk - Urlaub mitgenommen habe.
Das ich verwöhnt wurde von freundlichem Hotelpersonal, im Kaminzimmer die
Wärme des offenen Kaminfeuers spüren konnte, nicht als Kranke behandelt wurde,
war die Schleife am Geschenk aus der Fürst Donnersmarck - Stiftung.
Wieder zu Hause angekommen, nahm ich meine beiden Räuchermännchen, stellte
sie auf den kleinen Tisch neben die Vase mit den grünen Zweigen, die ich mir aus
Rheinsberg mitgebracht hatte und dachte dankbar an die Menschen, die mir ein so
schönes vorzeitiges Weihnachtsgeschenk gemacht hatten.
Gerti Weimann, Zirkel Dresden blinder Schreibender des BSVS
18.12.2002